In a nutshell: Im wesentlichen ist meine Kritik an Deutschland eine Kritik an "deutscher Ideologie". Der Bergfif geht auf Marx/Engels zurück (bitte jetzt nicht glauben, ich wäre Marxist, nur, weil ich denke, dass sie hier etwas Adäquates erkannt haben), indem sie unter anderem konstatieren, dass die deutsche ökonomische und politische Rückständigkeit im 19. Jahrhundert begleitet ist von spezifisch deutschen sozialen und geistesgeschichtlichen Strömungen. Etwa kritisieren sie "Gesinnungsdenken", also ein Denken, das glaubt, Handlungen um ihrer selbst willen ausführen zu müssen. Das steht etwa dem amerikanischen Pragmatismus gegenüber, bei dem Handeln nie Selbstzweck, sondern Mittel-zum-Zweck - etwa der Erfüllung von Bedürfnissen oder der Verfolgung des Glücks - dient. In diesem Zusammenhang würde ich auch die spezifisch deutsche Reformationsbewegung nach Luther einordnen, die (anders als bei Calvin und den Puritanern etwa) etwa Arbeit als Selbstzweck etabliert und Geldverdienen bzw. das Nutzenkalkül verdammt; ich würde argumentieren, dass sich hierin schon einer der zentralen Gründe verbirgt, weshalb sich das Feindbild Jude in Deutschland vehementer und drastischer durchsetzen konnte als sonstwo auf der Welt (der Jude steht dem Antisemiten ja gerade für das Geld und das Nutzenkalkül). Jedenfalls also lassen sich bestimmte Strömungen ausmachen, die in Deutschland (oder etwa den Grenzen des heutigen Deutschland) schon seit langer Zeit dominant sind. Der Begriff der deutschen Ideologie taucht dann im 20. Jahrhundert wieder auf in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Und gewissermaßen sehe ich sein Aktualität auch heute noch. Es ist natürlich nicht so, dass ich glaube, alle Deutschen seien so und so... viemehr ist das, wenn ich es so schreibe, eine Polemik, die für gewöhnlich nur jene Menschen trifft, die sich mit Deutschland identifizieren. Und Identifikation greife ich gerade an. Auch die nur scheinbar harmlose des Patrioten:
"Die charakteristische Gestalt absurder Meinung heute ist der Nationalismus. [...] Im Privatleben ist Selbstlob und was ihm ähnelt anrüchig, weil Äußerungen solchen Sinns allzuviel von der Übergewalt des Narzissmus ausplaudern. Je befangener die Individuen in sich selbst sind und je verhängnisvoller sie die Einzelinteressen verfolgen, die in jener Gesinnung sich abbilden und deren sture Gewalt auch wiederum von ihr verstärkt wird, desto sorgfältiger muss eben dieses Prinzip verschweigen, muss unterstellt werden, es gehe, wie der nationalsozialistische Slogan lautete, Gemeinnutz vor Eigennutz. Gerade die Kraft des Tabus über dem individuellen Narzissmus jedoch, dessen Verdränung, verleiht dem Nationalismus die perniziöse Macht. [...]
Gesunden Nationalgefühl vom pathischen Nationalismus zu scheiden, ist so ideologisch wie der Glaube an die normale Meinung gegenüber der pathogenen; unaufhaltsam ist die Dynamik des angeblich gesunden Nationalgefühls zum überwertigen, weil die Unwahrheit in der Identifikation der Person mit dem irrationalen Zusammenhang von Natur und Gesellschaft wurzelt, in dem die Person zufällig sich findet." (Adorno: Meinung Wahn Gesellschaft. In: Ebd.: Gesammelte Schriften 10.2., S. 588, f.)
Ich empfehle folgendende Texte:
Es gibt einen Aufsatz aus den 60ern, den ich nach wie vor in seiner Tendenz für aktuell halte. Er umreißt ein wenig das Problem des "deutsch sein", indem er es einerseits natürlich enthypostasiert, die Frage also im Prinzip schon als ungültig entlarvt, aber zugleich im "deutsch sein" einen Sozialcharakter ausmacht mit gewissen - etwa geistesgeschichtlichen - Tendenzen, die heute auch noch gültig sein dürften.
Theodor W. Adorno: Auf die Frage: Was deutsch ist.
http://www.scribd.com/doc/80494321/Ador ... ch-GS-10-2Einen deutlich aktuelleren, aber weit anspruchsvolleren - weil voraussetzungsvolleren - Text empfehle ich auch noch:
Gruber/Lenhard: "Deutsche Ideologie". Von Stirner zum Poststrukturalismus.
http://www.ca-ira.net/verlag/leseproben ... itung.html